Stirling Moss

seit 5 Jahrzehnten im Unruhezustand

Stirling Moss, getroffen von Philip Selkirk

Keinen Rennfahrer lieben die Briten so sehr wie Stirling Moss, der in der Formel 1 vier Jahre hintereinander Zweiter wurde und sich einmal gar für seinen Konkurrenten einsetzte, damit der Weltmeister wurde. Kürzlich hat der große Gentleman-Raser "einmal mehr endgültig" seinen Rücktritt erklärt. Grund genug, Sir Stirling einen Besuch abzustatten:

Der Vergleich mag unfair sein, aber er drängt sich auf, wenn man vor Shepherd Street Nummer 44 steht. Würden Michael Schumacher oder Lewis Hamilton hier wohnen? In diesem Klinkerbau mit der bescheidenen Sprechanlage aus den Siebzigern, in einer Straße mit kleinbürgerlichem Touch? Sicher, die Shepherd Street liegt im Herzen Londons, in Mayfair, doch das luxuriöse Viertel hat mit Savile Row oder Grosvenor Square wahrlich herrschaftlichere Ecken zu bieten als die Shepherd Street mit ihren Pubs und kleinen Lebensmittelläden. Natürlich würden Schumacher oder Hamilton hier nie wohnen, die Formel-1-Helden von heute verdienen die Millionen wie andere die Tausender, sie besitzen Villen am Genfer See oder in den Hügeln der Cotswolds. Stirling Moss aber, Englands Rennfahrer-Legende und Hausbesitzer in der Shepherd Street, stammt aus einer längst verblühten Ära des Motorsports, in der Bernie Ecclestone noch nicht das Geschäft mit den Boliden beherrschte und in der Rennsport eben noch viel Sport und wenig Business war.

Damals war Stirling Moss der schnellste und beste aller Fahrer, zumindest im Vereinigten Königreich. „Who do you think you are – Stirling Moss?“ pflegten Polizisten zu fragen, wenn sie Autofahrer mit ein paar Meilen zu viel auf dem Tacho anhielten... Beruflich feierte er seine größten Triumphe in den fünfziger und frühen sechziger Jahren, ein furchtbarer Unfall auf der südenglischen Rennstrecke Goodwood beendete seine erste Leistungssportkarriere 1962. Da war er gerade erst 32 Jahre alt.

Und doch blieb Moss der Liebling der Rennsportfans, nicht nur auf der Insel. Er verkörpert jene Ära, in der das Vereinigte Königreich noch eine Weltmacht war und Sport noch Sport. Mit 16 Jahren hat er seine Karriere begonnen, erst jetzt, mit über 80 Jahren, macht ihm die Geschwindigkeit Angst. Großbritanniens Zeitungen haben ihm zum Abschied Zeilen voller Respekt gewidmet. „Stirling Moss was a bit special“, schrieb der Guardian liebevoll. Er sei eigen gewesen – und etwas Besonderes.

Und jetzt? Was macht ein Mensch, der sein Leben lang durch die Gegend gerast ist, wenn er sich zur Ruhe setzt? In der Shepherd Street 44 öffnet Sir Stirling selbst die Tür. Er ist kleiner, als er auf den Fotos wirkt – Formel1 Größe könnte man sagen, daran hat sich nichts geändert. Die berühmte Glatze fällt sofort auf, genau wie die Hosenträger, die er als Markenzeichen trägt und nicht nur weil die Hose rutscht. Moss hängt seine Jacke über den abgewetzten Lehnstuhl, seine Frau Suzie serviert Tee mit Gummihandschuhen. Sie macht gerade den Haushalt. Moss' Büro mit dem braunen Resopalschreibtisch ist klein und voll gestopft mit Insignien und Erinnerungen aus seiner Zeit als Rennfahrer. An der Wand hängt ein großes Bild von Lewis Hamilton mit Widmung: „An den Größten, Quelle meiner Inspiration“. Noch immer bekommt Moss täglich um die 20 Briefe, noch immer beantwortet er jeden eigenhändig. Seine Nummer steht im Telefonbuch, jeder kann ihn anrufen. Der Mann ist authentisch geblieben, Allüren hat der Sohn eines Zahnarztes, der in einem Außenbezirk von London aufwuchs, nie gezeigt. Den klangvollen Vornamen hat seine Auto begeisterte Mutter ausgewählt, nach ihrer schottischen Heimatstadt. Für seine Bescheidenheit und sein sportliches Talent lieben britische Motorsportfans Moss bis heute wie keinen anderen Rennfahrer. Fährt er noch gerne? Nein, gewöhnliches Autofahren sei kein sportliches Vergnügen wie ein Autorennen, sondern eine Notwendigkeit, sagt er. Für ihn müsse ein Auto nicht mehr schnell sein, sondern bequem: „Eine Straße ist doch etwas ganz anderes als der Nürburgring.“ Stirling Moss braucht heute nach wie vor zwei Garagen, eine für seinen Roller (sein schnellstes Auto für die Stadt, wie er sagt), die andere für den Porsche, den OSCA und einen Smart.

Sein fahrerisches Talent zeigte sich damals vor allem auf Strecken, bei denen es weniger auf starke Autos als auf Fahrtechnik ankam – bei der legendären Mille Miglia etwa. 1600 Kilometer zwischen Brescia und Rom, in zehn Stunden, sieben Minuten und 48 Sekunden. Inklusive Tankstopps kam Moss auf ein Durchschnittstempo von gut 157 Kilometer pro Stunde. Diesen Rekord sollte in den beiden darauf folgenden Jahren der Mille Miglia als Hochgeschwindigkeitsrennen niemand mehr brechen. Mit diesem einen Rennen konnte er auch die italienischen Rennsportfans für alle Ewigkeit für sich begeistern, auch wenn diese lieber einen Marzotto an der Spitze der ewigen Mille Miglia Bestzeitenliste sehen würden.

Die Mille Miglia haben Moss berühmt gemacht, doch Weltmeister ist er trotz seiner 194 Siege nie geworden, bei der Formel 1 blieb er ewiger Zweiter. Was auch sicher daran lag, daß Moss mit Vorliebe britische Autos fuhr, die weniger zuverlässig waren als z. B. Mercedes und Maserati. 1958 etwa gewann Moss vier Rennen, sein Rivale Mike Hawthorn im Ferrari nur eines. Hawthorn hatte aber fünf zweite Plätze zu verzeichnen und wurde mit einem Punkt Vorsprung Weltmeister. Als Hawthorn nach dem Grand Prix von Portugal disqualifiziert werden sollte, setzte sich Moss für ihn ein – und verzichtete so auf den Sieg. Auch dafür lieben ihn seine Fans noch heute: Für sein Fair Play und den nonchalanten Umgang mit Titeln. Held und Außenseiter zugleich, das mögen die Briten. Trotz seines WM-Titels erreichte Hawthorn nie die Popularität von Moss. Moss hat damals auf viel verzichtet, auch auf viel Geld – würde er das heute wieder tun? „Es war fair, ja, ich würde es wieder tun“, sagt er. Am wichtigsten sei ihm der Respekt der anderen Fahrer.
Heute hingegen verderbe das Sponsoring den Sportsgeist. Echten Sportgeist, ist er überzeugt, gebe es vielleicht noch beim Polo, aber sonst nirgendwo mehr. Als damals bei einem Rennen in Australien ein Auto kaputtging, hat Moss von seinem schärfsten Rivalen, Jack Brabham, dessen Ersatzauto bekommen. Das sei noch „echte Kameradschaft" gewesen. „Heute wäre es doch unvorstellbar, daß Michael Schumacher Jenson Button ein Fahrzeug leiht.“

Insgesamt 529 Rennen in 106 verschiedenen Autos: Stirling Moss hat den Rennsport in jeder Hinsicht auf die Spitze getrieben. Heute fährt man in einer Saison nur ein Auto und vielleicht 16, 17 Rennen pro Saison. „Maximal kommen die Fahrer in ihrer Karriere so auf vielleicht 150 Rennen“, sagt Moss. In seinem besten Jahr, 1961, gewann er allein 56 Rennen und war der bestbezahlte Fahrer. Dann kam der Unfall von Goodwood.

Moss fuhr damals gegen eine Wand, die Rettungskräfte brauchten 30 Minuten, um ihn aus dem Wrack seines Lotus herauszuschneiden. Sechs Wochen lag er im Koma. Als er aufwachte, waren das Rennen und der Crash wie aus seinem Gehirn gelöscht. Nur an den Abend zuvor, bei dem er eine schöne Südafrikanerin kennen gelernt hatte, erinnerte er sich... Noch im Rollstuhl, ein paar Tage später, verkündete er, bald wieder Rennen fahren zu wollen. Doch daraus wurde nichts. Moss litt an Lähmungen und lange Zeit an Konzentrationsstörungen. „Mir ist damals die Leichtigkeit des Fahrens abhanden gekommen“, sagt er heute. Er gab seine Karriere auf, vermutlich auch deshalb ist er überhaupt nur so alt (84) geworden. Seine Kollegen von damals sind fast alle tot, viele bei Rennunfällen gestorben. Geld hat Moss nach seinem Ausstieg aus dem Rennberuf mit Immobilien verdient und mit der geschickten Vermarktung seines Namens.

Regelmäßig lässt sich Moss in Goodwood blicken, am Nürburgring oder bei der Ennstal-Classic Rallye. Solche Besuche sind gut fürs Image. Ein wenig kokettiert er damit, daß er die moderne Renntechnik nicht mehr verstehe. Eine gewaltige Übertreibung, denn Stirling Moss ist und war ein Tüftler. In seinem Haus hat er sich einen superleichten Lift aus Carbon einbauen lassen, und an der Wand hinter seinem Schreibtisch ist eine Knopfleiste befestigt. Mit einem der Knöpfe kann er den Wasserhahn im Bad betätigen und dort die Wanne füllen. Bis vor kurzem hat er noch die Waschmaschinen seiner Mieter repariert.

Stirling Moss hat beides geschafft: Er hat seine volksnahe geerdete Art gepflegt und zugleich seine Präsenz in den Schlagzeilen. Mal schrieben die Zeitungen über ihn, weil ihm wieder wegen zu schnellen Fahrens der Führerschein abgenommen wurde - ein anderes mal, weil er mit einem hübschen Mädchen unterwegs war. Seine beiden ersten Ehen haben nicht lange gehalten, zwischendurch pflegte er etliche Affären. Mit seiner heutigen Frau Suzie ist er seit 30 Jahren verheiratet. Stirling Moss ist ruhiger geworden. Was nicht heißt, daß er den Rummel um seine Person nicht ab und zu noch genießt. Seine liebste Anekdote handelt davon, daß ein Ordnungshüter auch ihn einmal angehalten und gefragt hat, ob er sich denn für Stirling Moss halte. „Es wäre ja schlimm“, sagt er, „wenn niemand mehr wüsste, wer Stirling Moss ist, oder?“

Philip Selkirk für iTROUVAILLE.COM

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